August Bebel begeisterte 1869 in Ravensburg die Arbeiter

Veröffentlicht am 24.05.2013 in Partei
 

Festakt in Weingarten zum SPD-Jubiläum – Erinnerung an einen Meilenstein in der oberschwäbischen Parteigeschichte
Am 16. November 1869 steigt in Ravensburg ein adrett gekleideter Herr mit Vollbart aus dem Zug. Es ist August Bebel, Drechslermeister aus Leipzig, geboren in Deutz bei Köln. Das Ziel des Mitbegründers der im gleichen Jahr in Eisenach aus der Taufe gehobenen „Sozialdemokratischen Arbeiterpartei“ (SDAP) und Abgeordneten im Reichstag des Norddeutschen Bundes ist das Gasthaus „Drei König“ in der Marktstraße. Dort hält der große Arbeiterführer Bebel, ein exzellenter Redner, im Ravensburger Arbeiterbildungsverein eine Versammlung ab und begeistert die Ravensburger Arbeiterschaft für die Sozialdemokratie.
Wenn die oberschwäbischen Sozialdemokraten des SPD-Kreisverbandes Ravensburg am Sonntag, 26. Mai, in Weingarten den 150. Jahrestag ihrer Partei, der mit Abstand ältesten aller demokratischen Parteien in Deutschland, gebührend feiern, wird sicher auch an den geradezu sensationellen Abstecher des berühmten Sozialdemokraten August Bebel ins kleine Ravensburg mit damals gerade einmal 8000 Einwohnern erinnert.

Bebel, der sich auf einer Agitationsreise befand, hatte gute Gründe, auch hier, beim bis dato ziemlich unpolitischen Arbeiterverein für den Anschluss an die Sozialdemokratie zu werben, die bereits seit 1863 durch den von Ferdinand Lassalle in Leipzig gegründeten und geleiteten Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) repräsentiert wurde, der zunächst mit dem SDAP konkurrierte, 1875 in Gotha aber mit ihr fusionierte. Denn Ravensburg mit seinen aufblühenden Textil- und Metallbetrieben (Escher Wyss) und nicht etwa Friedrichshafen oder Biberach war damals der bedeutendste Industriestandort im Königreich Württemberg südlich der Donau.

„Vaterlandslose Gesellen“
Aber obwohl hier im Schussental der „vierte Stand“, die Arbeiterschaft, schon ziemlich stark vertreten war, tat sich die Sozialdemokratie im traditionell katholisch-konservativ geprägten Oberland schwer, Fuß zu fassen. Zwar schloss sich der erwähnte Arbeiterbildungsverein 1870 der SDAP an, sagte sich aber wohl später von der Partei wieder los. Erst ab 1875 konnte hier von einem Aufschwung der Sozialdemokratie die Rede sein. Doch bereits wenige Jahre später brachen im bis dahin relativ liberalen Württemberg, also auch im Oberamt Ravensburg, harte Zeiten für sie an: Das von Reichskanzler Otto von Bismarck durchgedrückte „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ (Sozialistengesetz) bedeutete für die als „vaterlandslose Gesellen“ geächteten Genossen eine zwölfjährige Unterdrückungszeit (1878 bis 1890). Alle sozialdemokratischen, sozialistischen oder kommunistischen Vereine, Versammlungen und Druckschriften wurden verboten. Sozialistische Agitatoren konnten aus einzelnen Orten und Bezirken ausgewiesen werden. Die Behörden verstärkten ihre Überwachung. Auch im Schussental entließen Unternehmer Arbeiter, die sich zur Sozialdemokratie beziehungsweise Gewerkschaftsbewegung bekannten.
Aber die Roten, in die Illegalität gedrängt, agitierten im Untergrund weiter. Sie waren einfach nicht klein zu kriegen, errangen bei den Reichstagswahlen 1912 sogar 34,8 % der Stimmen und stellten mit 110 Abgeordneten die stärkste Fraktion. Übrigens sollte das nicht die letzte Verfolgungswelle in ihrer 150-jährigen Geschichte bleiben, unter der die SPD schwer zu leiden hatte. Die zweite, noch viel härtere setzte mit der Machtübernahme durch die Nazis 1933 ein, eine dritte nach Ende des Zweiten Weltkrieges in der damaligen sowjetischen Besatzungszone. Sozialdemokraten, die sich der von den Sowjets verordneten Zwangsfusion der SPD mit der KPD zur SED widersetzten, wurden drangsaliert und inhaftiert. Sogar Hinrichtungen sind dokumentiert.
Erster SPD-Gemeinderat
Der erste SPD-Gemeinderat in Ravensburg war seit 1907 der Wirt des Gasthauses „Heilig Kreuz“, Lorenz Ehrler. Über 25 Jahre vertrat er die SPD im Stadtparlament. Zu den herausragenden Persönlichkeiten der Ravensburger Sozialdemokratie gehörte auch Heinrich Matthiesen (SPD-Stadtrat ab 1932 bis zu seiner Inhaftierung durch die Nazis im darauf folgenden Jahr und dann wieder ab 1948). Über das Schicksal dieses entschiedenen Nazigegners, der im KZ eingekerkert war, sich nach dem Krieg als SPD-Ortsvereins-Vorsitzender große Verdienste beim demokratischen Neuanfang erworben hat, berichtete die SZ bereits (26. März 2013).
Untrennbar verbunden ist die weitere Geschichte der oberschwäbischen Sozialdemokratie aber auch mit dem Namen von Karl Müller, des ersten von zehn Kreisvorsitzenden seit 1945 und ersten SPD-Bundestagsabgeordneten nach dem Krieg. Der 1982 Verstorbene war eine starke Persönlichkeit, der viele politisch Interessierte für den Eintritt in die Partei motivierte. Sozialdemokraten von Format, die die Partei nach dem Krieg geprägt haben, sind auch Kurt Rückstieß und der Weingartener Sachse Professor Dr. Wolfgang Marcus, die Müller als Kreisvorsitzende folgten. Rückstieß, der große alte Mann der Ravensburger SPD, inzwischen 93 und an den Rollstuhl gefesselt, aber ungebrochen, war Vorsitzender der Ravensburger SPD-Gemeinderatsfraktion, der er 33 Jahre lang angehörte, saß 38 Jahre im Kreistag und war auch Landtagsabgeordneter (von 1964 bis 1968). Er kann viel erzählen. Professor Marcus, 1945 Mitbegründer der sächsischen CDU und der Jungen Union, in der SBZ inhaftiert, trat 1971 in die SPD ein. Bis heute ist ihm der entschiedene Kampf gegen rechts wichtig. Der nächste Kreisvorsitzende war Matthias Weisheit, gestorben 2004. Auch er gehörte dem Bundestag an. Nach ihm zogen Robert Marten, Roland Dorner, Edmund Dehnel, Rudolf Bindig, auch er Bundestagsabgeordneter (von 1976 bis 2005) und nach wie vor engagierter Verfechter der Menschenrechte und Mitglied des Kreistages, sowie Otto Ziegler den roten Karren.
Felix Rückgauer leitet heute die Geschicke des Kreisverbandes mit insgesamt 550 Mitgliedern in 17 Ortsvereinen „putzmuntere, halbleabige und scheintote“, wie Bodo Rudolf in einem sehr lesenswerten, humorvollen Aufsatz feststellt, der in einem Jubiläumsbuch der Partei enthalten ist, das am kommenden Sonntag in Weingarten vorgestellt wird. Der Verfasser verschweigt nicht, dass die Zahl der Mitglieder im Kreisverband wie auch auf Bundesebene seit Jahren schrumpft (allerdings nicht nur bei der SPD) und gut die Hälfte der verbliebenen Getreuen über 61 Jahre alt sind. Nur 30 Prozent der Mitglieder sind Frauen, obwohl die SPD für ihre Rechte und ihre Gleichberechtigung schon immer gekämpft hat. Immerhin stehen aber vier Ortsvereine unter weiblicher Leitung.
Rückgang der Wählergunst
Die Sozialdemokraten nicht nur im hiesigen Kreisverband haben zweifellos schon bessere Zeiten erlebt. „Die SPD war nach dem Verschwinden der KPD von 1959 bis 1994 zweitstärkste Partei. Ihr Rückgang in der Wählergunst begann jedoch bereits 1984, als sie (bei der Ravensburger Gemeinderatswahl) statt bisher zehn nur noch sieben Sitze erhielt“, schreibt Alt-Stadtarchivar Dr. Peter Eitel in seinem Ravensburg-Buch. Inzwischen von den Grünen überholt, die bei der letzten Kommunalwahl 2009 acht Sitze errangen, müssen sie sich seitdem mit fünf Sitzen begnügen. Wolfgang Engelberger, Rainer Frank, Michael Lopez-Diaz, Gisela Müller und Frank Walser halten die Stellung, im Kreistag neben Rudolf Bindig Peter Clement, Hans-Lothar Grobe, Gerhard Lang und Rainer Marquart.

Hintergrund: Leipzig und die Sozialdemokratie

Leipzig / dpa Am 23. Mai 1863 wurde im Leipziger Pantheon der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV) gegründet, es war die offizielle Geburtsstunde der deutschen Sozialdemokratie.
Die SPD nennt die Stadt an der Pleiße nicht nur deshalb die "Wiege der Sozialdemokratie" und verweist darauf, dass auch Wilhelm Liebknecht und der spätere Parteichef August Bebel hier arbeiteten.
1869 gründeten sie die Sozialdemokratische Arbeiterpartei, die 1875 mit dem ADAV zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands vereinigt wurde. 1890 benannte sie sich in Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) um.

Im Mai 1931 kamen knapp 400 Delegierte in Leipzig zum letzten Parteitag vor der Machtübernahme Adolf Hitlers zusammen. Nach dem Mauerfall stand die Stadt im Februar 1990 erneut im Fokus: Hier fand der erste und zugleich letzte Parteitag der Sozialdemokratischen Partei in der DDR (SDP) und der westdeutschen SPD statt - wenig später gab es wieder eine gesamtdeutsche SPD.
Unter dem Leitmotto "Ja zur deutschen Einheit - eine Chance für Europa" wurde ein Programm für die erste freie Wahl der Volkskammer der DDR beschlossen und ein Fahrplan zur Wiedervereinigung beider deutscher Staaten verabschiedet. Am 17. April 1998 fand in Leipzig auch der SPD-Parteitag statt, der die Weichen für die Bundestagswahl stellte, die mit dem ersten rot-grünen Wahlsieg im Bund endete.
Die Gegenwart sieht für die SPD am Ort mäßig aus. Hinter CDU und Linken ist die SPD nur drittstärkste Kraft im Stadtrat, stellt aber mit Burkhard Jung den Oberbürgermeister. Bei der Landtagswahl in Sachsen 2009 kam die SPD nur auf 10,4 Prozent. Den Freistaat regiert eine von nur noch drei schwarz-gelben Koalitionen auf Landesebene.

Chronologie: 150 Jahre Sozialdemokratie

Berlin / dpa Vor 150 Jahren gründet sich der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein, der Vorläufer der SPD. Das Datum gilt als Geburtstag der deutschen Sozialdemokratie. Parteiverbote, Vereinigungen und Regierungsbeteiligungen - eine Chronologie:
1863: Ferdinand Lassalle gründet am 23. Mai den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) in Leipzig.
1869: August Bebel und Wilhelm Liebknecht rufen in Eisenach die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) ins Leben.

1875: Auf einem Einigungsparteitag in Gotha schließen sich die beiden Organisationen zur Sozialistischen Arbeiterpartei zusammen.
1877: Bei der Reichstagswahl erhält die Sozialistische Arbeiterpartei 9,1 Prozent der Stimmen und 12 Sitze im Parlament.
1878: Das "Sozialistengesetz" unter Reichskanzler Otto von Bismarck verbietet die Partei für zwölf Jahre bis September 1890. Danach wird sie in Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) umbenannt.
1891: Auf einem Parteitag in Erfurt gibt sich die SPD ein neues Programm und wird zur Massenpartei - für die Rechte von Arbeitern.
1917: Die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) spaltet sich nach innerparteilichem Streit ab.
1918: Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges ruft der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann am 9. November in Berlin die Republik aus. SPD und USPD bilden für kurze Zeit eine Revolutionsregierung.
1919: Nach den Wahlen zur Nationalversammlung wird der Sozialdemokrat Friedrich Ebert Reichspräsident.
1925: Die seit 1922 vereinigte Partei aus SPD und USPD gibt sich auf dem Heidelberger Parteitag ein neues Grundsatzprogramm.
1933: Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar endet die Weimarer Republik. Die Sozialdemokraten lehnen am 23. März das Ermächtigungsgesetz ab, im Juni verbietet Hitler die SPD. In der Folge werden zahlreiche Sozialdemokraten verfolgt, ermordet und in Konzentrationslagern eingesperrt.
1946: SPD und KPD werden in der sowjetischen Besatzungszone unter Druck zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) vereint.
1959: Mit dem Godesberger Programm wandelt sich die SPD im Westen von einer Klassen- zu einer pluralistischen Volkspartei.
1966: Zum ersten Mal ist die SPD in der Bundesrepublik an einer Regierung beteiligt: der Großen Koalition mit der CDU/CSU.
1969: Willy Brandt ist Bundeskanzler der SPD/FDP-Koalitionsregierung. Nach seinem Rücktritt wegen der Affäre um den DDR-Spion Günter Guillaume folgt ab 1974 Helmut Schmidt als Kanzler (bis 1982).
1989: In der DDR wird im Oktober die Sozialdemokratische Partei (SDP) in Schwante gegründet. 1990 benennt sie sich in SPD um. Die Partei ist am Übergangskabinett unter Hans Modrow (PDS) beteiligt und nach den Volkskammerwahlen am 18. März in der Regierungskoalition.
1990: West- und Ost-SPD vereinigen sich zu einer gesamtdeutschen SPD.
1998: Dritter SPD-Bundeskanzler wird Gerhard Schröder (bis 2005). Die SPD regiert mit den Grünen. Mit dem Namen Schröder sind auch die umstrittenen Arbeitsmarktreformen der "Agenda 2010" verbunden.
2005: Vorzeitige Neuwahlen nach einer verlorenen Vertrauensfrage im Bundestag bringen das Ende der rot-grünen Koalition. Es folgt eine schwarz-rote Regierung, Franz Müntefering wird Vize-Kanzler.
2009: Die SPD kommt mit Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier auf nur 23 Prozent der Stimmen und verliert ihre Regierungsbeteiligung.

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